Das Expeditionstagebuch:
26. Mai bis 1. Juni 2021
800 KM, 45 Tage, 1 Mission: Unsere NORMALROUTENVERLASSER Franzi, Hanna und Ruppert durchqueren Grönland auf ihrer „Mission Eis-Check 1912“ – die Wiederholung der Grönland-Expedition des Polarforschers Alfred de Quervain von 1912, um dessen Messungen der Eisdicke zu wiederholen.
Als Sponsor unterstützen und begleiten wir ihre Expedition und geben Euch ihre Eindrücke in unserem Expeditionstagebuch wieder.

26. Mai 2021: Abwarten und Tee trinken
Wir haben mehr oder weniger ausgeschlafen. Einer von uns hält immer Wache, weil das Zelt sehr laut wummert, damit alles sicher ist und die anderen beruhigt schlafen können. Wind war zwischen 3 und 10 Uhr am stärksten. Kurz waren wir für fünf Minuten draußen als der Wind schwächer wurde, um frische Luft zu schnappen und einen Spaziergang um die Mauer zu machen. Man sieht wie der Wind die Schneemauer abfräst. Wir müssen immer wieder hinausgehen und ausbessern.
Wir haben die Zeit und die wärmeren Temperaturen für einen Waschtag genutzt, d.h. Feuchttücher, Deo, Haare kämmen. Fühlen uns wieder pudelwohl!
Wir haben Zeit in Reiseerinnerungen zu schwelgen und uns wie in Wien in einem Kaffeehaus gefühlt. Machen Kaffee und Kuchen, d.h. Kaffee / Tee und Schokolade. Lassen es uns richtig gut gehen. Heute haben wir sogar mittags und abends warm gegessen, es gab Pasta mit Olive.
Zum Glück ist auf dem Solarpanel auch bei wenig Sonne genug Energie für die Akkubox, damit wir Handys und das inreach laden können. Vertreiben uns die Zeit mit Musikhören, Spiele spielen (Kniffel, Poker, Stadt Land Fluss), schlafen und Musik machen (Mundharmonika und singen).
Die Karavane wartet auf ein günstiges Wetterfenster, um weiter zu ziehen.
27. Mai 2021: Framheim
Fram heißt „vorwärts“ auf norwegisch und die „Fram“ war das eingefrorene Schiff der Expedition des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansen. Kleiner Exkurs: Die Fram-Expedition war eine Arktis-Forschungsreise, die zum Ziel hatte, den Nordpol mithilfe der natürlichen Eisdrift im arktischen Ozean zu erreichen, um herauszufinden, ob es die transpolare Eisdrift gibt.
Heute haben wir bis 11 Uhr geschlafen und dann Franzis Geburtstag nachgefeiert. Haben Geburtstagslieder gesungen und Franzi hatte Abziehtattoos dabei: für Hanna ein Herz mit Schwert, für Ruppert eine Schildkröte und für Franzi ein Tribal.
Nach dem Mittagsschlaf wurden die Schlitten ausgebuddelt. Durch den Schnee und die Sonne war alles nass eingefroren. Heute war schon etwas weniger Wind als gestern. Morgen geht’s weiter.
Wir dachten wir erzählen euch mal wie unser Blog täglich up-to-date bleibt: Da wir hier kein Internet haben, bekommt unsere Schwester Franzi täglich kurze Nachrichten von uns über unser GPS-Gerät, aus denen sie die Blogartikel schreibt. Die schönen Fotos werden uns von Marco Schütze von der Grönland Expedition vom letzten Jahr zur Verfügung gestellt. Vielen lieben Dank dafür!
28. Mai 2021: Waschmaschine
Heute Vormittag kam der Wind aus unterschiedlichen Richtungen und der Schnee war warm und sehr nass, weswegen wir uns vorkamen wie in einer Waschmaschine.
Jeder von uns ist heute Vormittag mit einem Kite gestartet, dann wurde der Wind aber zu stark. Ab da gings zu dritt mit einem Kite weiter. Fühlt sich an wie Liftfahren. Ruppert vorne mit dem 4qm-Kite und Franzi und Hanna mit Seil hinten dran. Mit 35–40 km/h wäre der Wind für jeden einzelnen für uns zu stark gewesen. Die Sicht war sehr schlecht. Im Blindflug gings zum nächsten Camp. Da wir keinen Styroporschnee mehr haben, mussten wir statt einer Schneemauer einen Schneehaufen bauen. Aber der Wind soll in der Nacht weniger werden.
Morgen kiten wir nochmal, wenn die Bedingungen so wie vorhergesagt passen. Danach befinden wir uns im Einzugsgebiet des großen Gletschers Jakobshavn Isbræ bei Ilulissat. Sein Einzugsgebiet umfasst ungefähr 6,5% des Inlandeises. Wir müssen dann auf Spalten aufpassen. Es ist eklig, dass es so warm und dadurch nass ist.
Wer sich ein genaueres Bild von unserer Situation machen will kann sich mal „Nordpolexpedition“ von Helge Schneider anschauen.
Copyright Foto: Heim Expeditionen
29. Mai 2021: Wunder der Natur
In der Früh haben wir einige Reparaturen erledigt. Dann gings mit den Kites weiter.
Es ist wieder wellig – wie beim Aufstieg an der Ostküste. Angekommen auf einer Kuppe, sahen wir plötzlich Spalten und haben uns angeseilt. Als wir näherkamen, stellten wir fest, dass es keine Spalten, sondern riesige Eisaufwerfungen sind, die von großen Seen abgeflossen waren. Die Eisskulptur war fünf Meter hoch, hat blau geschimmert, das Eis oben war aufgerissen. Das war die erste markante, krasse Veränderung. Wieder abgeseilt. Weiter gekitet. Aber der Boden war wie eine scharf-kantige Buckelpiste, weswegen wir die Kites wieder einpacken mussten.
Abends ging es dann weiter am Seil über die ersten Spaltenssysteme der Westküste, durchzogen von Seen gefüllt mit blauem Eiswasser.
Ab jetzt müssen wir wieder zu Fuß weiter, weil das Gelände zu schwierig wird. Es sind noch 50 km bis zu dem Ort, wo wir zwei Tage lang Messungen durchführen werden. Wir finden es ganz gut wieder langsamer unterwegs zu sein, so kommt der Kopf auch gut mit.
Langsam bekommen wir einen Geschmack von Sommer je weiter runter wir kommen. Freuen uns auf‘s Beachvolleyball spielen! Die Sonne brennt hier heiß und es wird deutlich wärmer.
Beim Abendessen haben wir mal weiter unten in der Essenstasche gekruschtelt und eine neue Geschmacksrichtung gefunden.
Copyright Foto: https://lucaslaursen.com/building-a-better-glacial-speedometer/
30. Mai 2021: Land in Sicht
Letzte Nacht haben wir nur fünf Stunden geschlafen, weil wir heute einen längeren Tag einlegen wollten. Der Wind fegte heute mit heftigen 30 km/h übers Eis, weshalb wir vom Knattern des Zeltes geweckt wurden. Weil der Wind zu stark zum Kiten und der Schnee zu wellig war, sind wir die ersten 8 km am Seil gegangen. Wenn es mit dem Kiten geht, kiten wir als Seilschaft mit dem 4qm-Kite, Ruppert wieder vorne und Franzi und Hanna hintendran. Gestern haben wir einen Vogelschwarm mit 30 Gänsen in einer Reihe fliegen gesehen. Es geht deutlich bergab, in großen Wellen.
Das erste Mal sehen wir Land! Am Horizont Berge mit ein bisschen Schnee drauf. Kaum zu glauben! Wir können uns noch so gut an den ersten Tag erinnern – es ist verrückt mal was anderes zu sehen als Schnee und Eis.
Wir erhaschen einen kurzen, weit entfernten Blick auf den Gletscher. Der größte und schnellste Gletscher zieht sich seit über einem Jahrhundert zurück. Er hat allein zwischen den Jahren 2000 und 2010 so viel Eis abgegeben, dass er einen Meeresspiegelanstieg von 1 mm verursachte. Die Fließgeschwindigkeit des Jakobshavn Isbrae Gletschers beträgt im Sommer 20 m pro Tag (Stand 2008). Am oberen Ende des Gletschers wurden teilweise sogar 46 m/ Tag gemessen. Damit ist er der schnellste dauerhaft fließende Gletscher der Welt. Die Fließgeschwindigkeit wird durch ein riesiges Flusssystem unterhalb des Gletschers begünstigt. Jedes Jahr brechen schätzungsweise 35 Milliarden Tonnen Eis ins Meer.
Es wird vermutet, dass der Eisberg, den die Titanic 1912 rammte, vom Jakobshavn Isbrae stammte – im selben Jahr, in dem die Erstbegeher unserer Route, Quervain und Co., diesen Gletscher überquerten.
Gegen Abend haben wir das Swiss Camp erblickt (mittlerweile amerikanische Forschungsstation, die das Eis überwacht). Erstes menschliche Zeichen seit fast einem Monat. Wir sind noch ungefähr zwei Kilometer von unserem Camp entfernt. Unser Ziel ist, morgen und übermorgen an den Stoberpunkten zu messen. Mehr dazu morgen.
Wir sind froh, dass wir noch Schnee haben und er noch nicht weggetaut ist. Wer weiß, wie es hier in 2 Wochen aussieht. Die Sonne leckt deutlich am Schnee.
Wir sind total glücklich, dass wir jetzt schon so nah an der Westküste sind und alles bisher so glatt gelaufen ist. Kaum zu beschreiben! Unsere Wunden heilen auch gut, z.B. die kleinen Erfrierungen und aufgeplatzten Lippen in unseren braunen Gesichtern mit Brillenabdruck.
Quellen:
https://www.swissinfo.ch/ger/swiss-camp-wacht-ueber-das-inlandeis-groenlands/1329574
https://www.spektrum.de/news/der-grund-des-schnellsten-gletschers-der-erde/1413907
https://de.wikipedia.org/wiki/Jakobshavn_Isbræ
https://www.dlr.de/content/de/bilder/2019/4/jakobshavn-isbrae-schnellster-gletscher-groenlands.html
https://www.dgpf.de/pfg/2009/pfg2009_1_Schwalbe.pdf
Foto: wikimedia
31. Mai 2021: Meeresbrise
Wir nähern uns der Westküste und werden so wie es aussieht zehn Tage früher ankommen als geplant.
Seit 1984 besteht das Messpunktefeld von Prof. Dr.-Ing. Manfred Stober, wo wir uns seit gestern Abend befinden und wo wir die nächsten zwei Tage Messungen vornehmen werden. Anhand eines Pegelnetzes (80 km von der Westküste auf dem Inlandeis) werden in einer Langzeitstudie die Fließgeschwindigkeit, die Verformung der Eisoberfläche sowie die Veränderung der Eishöhe beobachtet. Des Weiteren werden Höhenmodelle der Eisoberfläche abgeleitet. Die Werte werden zur Modellierung des grönländischen Eisschildes und zum Vergleich mit der globalen Klimaänderung benötigt.
Wir müssen mit der Antenne die Höhe und genaue Position von 48 Punkten auf einer Fläche von 5 km² ermitteln. Mit einer Sonde wird die Höhe bis zu Blankeis gemessen, interessant ist dann die Höhe des Punktes auf dem blanken Eis. Die momentane Schneehöhe liegt bei 1,5 m. Unseren Messungen zufolge glauben wir, dass bei manchen Punkten schon seit 2014 vier Meter weniger Eis da ist. Aber wir müssen warten, welche Werte die Wissenschaftler ausrechnen.
Abends drehte der Wind auf Süd-West und wir konnten zum ersten Mal das Meer riechen. Erinnerungen an Ilulissat werden wach: Algen, Meer, Schlittenhunde … bald sind wir dort.
1. Juni 2021: Feldarbeit
Heute haben wir den zweiten Tag mit Messungen bei den Stober-Punkten verbracht. Wir schauen, dass wir so viel wie möglich essen, damit wir so wenig wie möglich tragen müssen, wenn es dann übers Festland ohne Schnee geht.
Wir mussten die Platte für die Antenne reparieren, die wegen des welligen Bodens durch die Erschütterung kaputt gegangen war. Es schneit leicht mit White Out, manchmal kommt die Sonne durch. Es hat ca. 0 Grad, ohne Wind. Es ist sehr warm.
Gegen 17 Uhr waren wir fertig mit den letzten Messungen und haben es uns dann im Zelt gemütlich gemacht. Jeder darf so viel essen wie er will, keine Rationierung mehr. Wir wollen zeitig schlafen und morgen früh um 3 Uhr aufstehen, um gute Schneebedingungen zu haben.
Mehr über Heim Expeditionen gibt’s auf der Website von Franzi und Ruppert unter heimexpeditionen.de
Unterstützt wird die Expedition von iceploration e.V.
Wenn nicht anders vermerkt
Copyright Fotos: iceploration, Expedition Spurensuche 2020
Wer wissen will, wie wir aus solchen und ähnlichen Abenteuern in nur drei Schritten spannende B2B-Kampagnen machen: Auf in unser Basecamp.