Auf der Brücke wird es nie langweilig
Trotz Corona hat sie es in die Weite geschafft: An Bord der Polarstern zur „MOSAiC“, der größten Arktis Expedition unserer Zeit. Die Augsburgerin Laura Schmidt bewacht dort die Forscher auf dem Eis vor Eisbären. Was treibt sie an? Wir sind regelmäßig mit ihr in Kontakt und begleiten ab sofort ihren Eisalltag im Rahmen unserer Serie „Lauras Polarzeit“.
![Folge4 [c] Igor Seismic](https://expedition-marke.de/wp-content/uploads/2021/01/Folge4-Igor_Seismic.jpg)
XM: Hallo Laura, schön wieder von Dir zu hören. Hier kommt gleich unsere erste Frage: Warst Du eigentlich schon mal länger an Bord der Polarstern, einer Polarexpedition (Schiff) oder ist das Dein erstes Mal auf dem Eismeer?
Laura: Ich bin zum ersten Mal auf der Polarstern und auch für diesen langen Zeitraum inmitten des arktischen Ozeans. Zweimal bin ich auf einem kleinen Schiff als Guide und Lektor entlang der Küsten von Süd- und Westgrönland mitgefahren. Ansonsten besteht meine Arktis-Erfahrung überwiegend von Trekkingtouren auf dem Land.
XM: Gibt es Erfahrungen aus früheren Projekten oder Tätigkeiten, die Dir aktuell besonders helfen?
Laura: Ja, auf jeden Fall! Vor allem was Geduld betrifft und Dinge zu akzeptieren, die nicht zu ändern sind. Hierfür hat mir meine Zeit als Tourguide für Ostgrönland, Spitzbergen und Westgrönland sehr geholfen – gerade was Menschen und ihre unterschiedlichen Charaktere anbelangt. Ich meine zu behaupten, mich sehr gut auf Andere einstellen und helfen zu können. Auch meine alpine Erfahrung ist von Vorteil. Man hat ein besseres Verständnis für das Gelände, auch wenn es auf dem Eismeer natürlich flach ist. Aber dennoch gibt es potenzielle Gefahren wie eine durch Meeresströmungen sich ständige umformende Eislandschaft, entstehende Leads und sich meterhoch stapelnde Presseisrücken, sogenannte „ridges“.

XM: Ich stelle es mir brutal ermüdend vor, stundenlang aufs weiße Eis zu starren, vergeblich nach Polarbären Ausschau zu halten und dann im richtigen Moment voll da zu sein – wie macht Ihr das: Acht Stunden am Stück wie im Büro oder wechselt Ihr Euch ab?
Laura: Es ist tatsächlich oft ermüdend, deshalb sind die meisten Schichten bei „festen“ Messstationen nicht länger als drei Stunden am Stück. Insgesamt sind wir aber schon den ganzen Tag verteilt draußen.
Hier mal ein Beispiel-Schedule:
9.00 – 11.30: Brücke, Stern oder Bearguard für ROV City, MET City, Albedo oder andere Stationen
11.30 – 13.00: Lunch, dafür gehen die meisten Gruppen aufs Schiff zurück. Diejenigen, die draußen bleiben, werden von einem anderen Bärenwächter abgelöst.
13.00 – 15.30: Brücke, Stern oder Bearguard für andere Station oder auch Pause
15.30 – 17.30: Brücke, Stern oder Bearguard
Es gibt aber auch Tage, da sind wir länger auf dem Eis. Zum Beispiel, wenn wir zu einer anderen Scholle über ein Lead gehen oder den Transect laufen, d.h. unsere Scholle umrunden, um die Eisdicke zu messen.
XM: Das heißt, Du hast noch viel mehr Aufgaben, die auch unterschiedlich Spaß machen oder angenehm sind ….
Laura: Ja, klar! Bei den einzelnen Stationen beispielsweise, wo wir wirklich nur auf einer Ridge stehen und unsere Umgebung beobachten, wird es tatsächlich nach ein paar Stunden anstrengend, langweilig und kalt. Dagegen während der „Bridge-Watch“, also auf der Brücke, koordinieren wir die Teams auf dem Eis und sind immer via VHF-Radio verfügbar. Über ein sogenanntes Trip-Log-System haben wir über den PC den Überblick, wie viele das Schiff verlassen haben und zurückgekehrt sind. Jedes Team muss ich beim Verlassen der Gangway und ihrer Rückkehr ab- bzw. anmelden. Zusätzlich haben wir von dort oben eine gute Übersicht der Teams – jedenfalls solange es nicht zu neblig ist. Wir werden von frei verfügbaren Wissenschaftlern als „Bridge Lookout“ unterstützt, die uns beim Ausschau nach Eisbären unterstützen. Oben auf der Brücke wird es definitiv nicht langweilig.
XM: Liebe Laura, Deine Zeit auf der Polarstern geht langsam zu Ende. Aber Du hast uns versprochen, dass wir uns noch einmal melden dürfen. Bis dann!
Das Interview führte Markus
Copyright Bilder:
Sliderbild: Alfred-Wegener-Institut / Mario Hoppmann (CC-BY 4.0)
Bild Schneemobil: Igor Seismic
Bild Brücke: Jacob Langhinrichs
Hintergrund
MOSAiC ist die die größte Arktis-Expedition unserer Zeit und bedeutet Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate. Seitens des Alfred-Wegener-Instituts für Polar-und Marineforschung wird diese einmalige Expedition seit ca. 10 Jahren vorbereitet und tritt in die Fußstapfen von Ideengeber Fridtjof Nansen. Im September 2019 hat der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern den Hafen von Tromsö verlassen und driftet seit Oktober 2019 verankert an einer Eisscholle im arktischen Ozean. Ziel dabei ist, den Klimawandel in der Arktis besser zu verstehen, denn diese Region ist das Epizentrum der globalen Erwärmung. Nirgendwo sonst auf der Welt wird es so schnell wärmer als in dieser kalten, fragilen und einzigartigen Erdregion. Gleichzeitig ist die Arktis eng mit dem Wettergeschehen in unseren Breiten verknüpft. Wissenschaftler aus der ganzen Welt versuchen die komplexen Zusammenhänge und Prozesse von Ozean, Eis und Atmosphäre zu verstehen und somit Wissens- und Datenlücken zu schließen. Insgesamt ist die Expedition unterteilt in 6 Zeitabschnitte, für welche die Forscher und die Crew ca. alle zwei bis drei Monate mittels zusätzlicher Eisbrecher ausgetauscht werden.
Text: Laura Schmidt, https://alparctica.com