Crossing Greenland und wie es dazu kam
Was für viele von uns eher nach Folter als nach Urlaub klingt, ist für Johanna, Franzi und Ruppert Heim (hier geht’s zum Normalroutenverlasser-Profil) der Inbegriff von Freiheit: bei ‑40°C rund 45 Tage und 800 Kilometer durch Grönland – zu Fuß, mit Skiern und Kite, von Ost nach West. Das Ganze „unsupported“, ein in der Abenteuer-Szene feststehender Begriff für „ohne Hilfe von außen“, wie etwa vorab angelegte Nahrungsdepots, etc.
Die Kälte und Einsamkeit stört sie dabei aber überhaupt nicht: „Das ist einer der größten Abenteuerspielplätze der Welt! Wir können schlafen, wo wir wollen.“, schwärmt Ruppert und ergänzt: „Wenn man abends noch ein bisschen Power hat, das Zelt schon steht und man hat dann einen perfekten Sonnenuntergang – dann gibt’s vielleicht sogar noch ein paar Polarlichter und man dreht noch ‘ne Runde mit dem Kite ums Zelt. Das ist doch die ultimative Freiheit!“ Langsam kann ich erahnen, worum es den Dreien bei ihrer Tour wirklich geht. Jedenfalls ist das Bild in ihrem Kopf nicht von Frieren und Anstrengung geprägt.

Der 33-Jährige Osteopath Ruppert Heim aus Schwabmünchen träumt seit seiner Kindheit von einer Polar-Expedition
Der jahrelange Wunsch nach einer richtig großen Expedition
Die Idee einer Polarexpedition schlummert in Ruppert, dem Expeditionsleiter, schon seit er Kind war. Leidenschaftlich verschlingt er Literatur der großen Polarforscher und arbeitet in seinen Urlauben stetig darauf hin. Er, seine Frau Franzi und seine Schwester Johanna absolvierten in den letzten Jahren schon mehrere Wintertouren in Schweden, Norwegen, Spitzbergen zusammen. Alles privat finanziert und aus Spaß.
Doch je mehr Abenteuer die beiden erleben, desto größer wird der Wunsch nach einer richtig großen Expedition, die nicht nur „just for fun“ ist, sondern sich tatsächlich auf die Spuren der großen Forscher begibt. Und so reift die Idee zu einer Grönland-Expedition von Ost nach West schon gut sieben Jahre in Rupperts Kopf, bevor er 2017 die erste Mail an einen Forscher des Albert-Wegener-Instituts verschickt. Nach gut drei Jahren Vorbereitung unzähligen Excel- Listen und Schriftverkehr, ist es nun endlich soweit: Ruppert, Franzi und Johanna starten im April gen Norden nach Grönland – zur größten Insel der Welt!
Man sollte ja meinen, dass eine Grönlandüberquerung selbst bereits die große Unbekannte ist, aber heute ist es wohl eher die Bürokratie.
„Der Schriftverkehr und das Warten auf die zwingend notwendigen Permits. So sind die Corona-Bürokratie und dass wir am richtigen Tag dort ankommen gerade unsere größten Herausforderungen. In dem Moment, wo wir dann den ersten Schritt mit den Skiern machen, kommt die Entspannung,“ erzählt Ruppert.

v.l.n.r. Johanna Heim, Ruppert und Franziska Heim. Johanna ist Rupperts Schwester, Franzi und Ruppert sind verheiratet – das perfekte Dreamtrio ;-)
Mission „Eis-Check 1912“: Eis-Messungen für die Klimawandel-Forschung
Die Drei aus dem Großraum Augsburg peilen aber nicht nur eine „einfache“ Überquerung des Grönländischen Inlandeises an, sondern stellen ihr Abenteuer in den Dienst der Klimaforschung – die zentrale Frage: Wie hat sich das grönländische Inlandeis seit Beginn der Industrialisierung im Zuge der Erderwärmung verändert? So wiederholen Franzi, Hanna und Ruppert im Rahmen ihrer „Mission Eis-Check 1912“ von Tassilaq aus gen Westen die historische Route des Polarforschers Alfred de Quervain von 1912, dem ungefähren Start der Industrialisierung, um dabei seine Eishöhen-Messungen erneut durchzuführen. Die Ergebnisse fließen dann in die Klima-Forschung von Iceploration e. V. und der Brandenburgischen Technischen Universität ein.

Erfahrungen haben Franzi, Ruppert und Hanna bereits bei ihren Hardangevidda (Norwegen) Expeditionen in den Jahren 2016 und 2018 gesammelt
800 Kilometer, 350 kg Gepäck, 40 bis 45 Tage
Die für die Eismessungen notwendigen Instrumente, Gepäck und Proviant sind schon unterwegs. Alles akribisch aufgelistet, jedes Packstück einzeln abgewogen, genauso wie jede Kalorie. Denn „wenn man nicht genau weiß, wie viel Kalorien man braucht, dann verschätzt man sich gerne mal um 50 kg. Und das kann dann darüber entscheiden, ob die Expedition scheitert oder nicht“, erklärt mir Franzi. Und so wird jeder der drei knapp 100 kg auf einem Schlitten hinter sich herziehen. Geplant ist, in den ersten Wochen ca. 20 Kilometer pro Tag zu schaffen, später dann mit Hilfe von Kites auch mal bis zu 60 Kilometer. Das bedeutet allerdings im Schnitt einen 10–12 Stundentag. Und gerade die ersten drei Wochen werden spannend: So rechnen die Drei mit Gegenwind, müssen erstmal gut 2.500 Höhenmeter bergauf bis auf die Ebene des Grönländischen Inlandeises, durchqueren dabei starkes Spaltengebiet der zum Meer hin abfallenden Gletscher und extremen Tiefschnee.

Die Expeditionsroute kreuzt eine beliebte Eisbären-Wanderroute
Dazu kommt auch noch die permanente Eisbärengefahr. Teammitglied Johanna, Rupperts Schwester: „Eisbären sind ja wirklich faszinierend, aber einen direkten Kontakt brauche ich jetzt nicht unbedingt – auch, wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass wohl genau das passieren wird.“ „Denn“, so lächelt Ruppert, „um diese Zeit sind sie nun mal gern zu Fuß auf dem Inlandeis in den Norden unterwegs, nachdem sie sich vorher mit dem Eis in den Süden haben treiben lassen, um Robben zu fangen. Ihre und unsere Route werden sich also immer wieder kreuzen, aber wenigstens dürften sie aktuell nicht allzu hungrig sein.“

Eisbären? Kälte? Die Geschwister Johanna und Ruppert kann nichts schrecken!
Der Mensch ist die größte Gefahr
Doch all die Herausforderungen, die das Land mit sich bringt, sind nur ein kleiner Teil, warum Expeditionen oft scheitern, weiß Ruppert: „Der Hauptgrund, warum Expeditionen schiefgehen ist, dass sich die Teammitglieder nicht mehr abkönnen. Die Psyche macht rund 85% der Stärke aus, die man auf so einer Reise braucht. Das ist auch ein Grund, warum wir dieses Abenteuer mit einem wissenschaftlichen Zweck verknüpfen. Zu wissen, warum man das Ganze macht, kann dem Team in Stresssituationen sehr helfen.“ Doch die „drei Heims“ sind schon erprobt durch verschiedene gemeinsame Touren und machen sich darüber keine Sorgen. Jeder hat seine Aufgabe und macht das, worin er besonders gut ist. Essen kochen, Zelt aufbauen, Messungen – alles natürlich mit dicken Fäustlingen, denn wer die Handschuhe öfter als nötig auszieht, riskiert, sich die Finger abzufrieren.


Vorbereitung und Training südlich von Augsburg auf den hohen Norden
„Das Gefühl ist einfach mega“
Abgesehen vom Erlernen der Eismessungen und den Umgang mit den dafür notwendigen Instrumenten haben sich die Heims aber nicht speziell auf diese Tour vorbereitet. Alles, was man braucht, um dort zu überleben, können sie schon durch vorherige Touren: Skitouren gehen, Schlitten ziehen, Kiten, Spaltenbergung wie bei einer Hochtour in den Alpen. Ganz wichtig ist aber: Man muss auch bei ‑45°C und bei Sturm funktionieren. Jeder muss sich auf den andern verlassen können.
Der Körper stellt sich dabei allerdings fast wie von alleine auf den Temperaturumschwung ein. „Wenn der Körper in der Kälte ist, braucht er ein bisschen, um sich anzupassen. Es dauert ca. 2–3 Tage, in denen die Kälte noch unangenehm ist. Aber dann checkt der Körper schon, was er machen muss, damit einem warm wird. Essen oder ein warmes Getränk werden dann sofort in Körperwärme umgewandelt. Und dieses Gefühl ist einfach mega. Der Körper reagiert auf einmal ganz anders als sonst“, schwärmt Franzi.
Interview: Petra Romero
Text: Markus Schaumlöffel
Fotos: © Heim Expeditionen
Als Sponsor unterstützen und begleiten wir von EXPEDITION MARKE das Projekt, weil uns #NORMALROUTENVERLASSER faszinieren: Menschen, die ihren Traum leben und dabei die Normalroute verlassen. Egal ob Abenteurer wie unsere Drei, oder B2B-Entscheider, die (mit uns?) für Ihr Haus nach spannenden Kommunikationsformen abseits des Normalen suchen.
Übrigens: Hauptsponsor der Expedition ist unser Kunde Johns Manville im Rahmen der von uns verantworteten, internationalen Kampagne #JMextraMile. Mehr